Röntgenstrukturanalyse zeigt, wie MHC I-Moleküle mit Peptiden beladen werden
Für eine angemessene Immunantwort ist es essentiell, dass infizierte oder entartete Zellen von T-Lymphozyten erkannt werden. T-Lymphozyten erkennen solche Zellen anhand von antigenen Peptiden, die diese Zellen mithilfe spezialisierter Oberflächenmoleküle (MHC I-Moleküle) präsentieren. Ein Frankfurter Forschungsteam konnte nun mittels Röntgenstrukturanalyse zeigen, wie die MHC I-Moleküle mit Peptiden beladen und wie dafür geeignete Peptide ausgewählt werden.
FRANKFURT.
T-Lymphozyten sind als Taskforce des adaptiven Immunsystems dafür
verantwortlich, mit Viren infizierte oder Krebszellen anzugreifen und zu töten.
Solche Zellen präsentieren wie alle Körperzellen auf ihrer Oberfläche
Bruchstücke aller Proteine, die sie im Inneren herstellen. Sind darunter Peptide,
die ein T-Lymphozyt als fremd erkennt, wird dieser scharf geschaltet und tötet
die betreffende Zelle ab. Für eine robuste T-Zell-Antwort ist es daher wichtig,
dass der T-Lymphozyt geeignete Protein-Bruchstücke präsentiert bekommt. Wie die
Zelle diese Protein-Bruchstücke oder Peptide auswählt, hat nun das
Forschungsteam um Simon Trowitzsch und Robert Tampé vom Institut für Biochemie
der Goethe-Universität Frankfurt aufgeklärt.
Die Präsentation der Peptide erfolgt auf sogenannten
Haupthistokompatibilitätsmolekülen der Klasse I (MHC I).
MHC I-Moleküle sind eine Gruppe sehr vielfältiger Oberflächenproteine, die
entsprechend eine Vielzahl unterschiedlicher Peptide binden können.
MHC I-Moleküle sind in der Zellmembran verankert und bilden mit ihrem nach
außen gerichteten Anteil eine Peptidbindetasche. Wie alle Oberflächenproteine
durchlaufen die MHC I-Moleküle den sogenannten sekretorischen Weg: Sie
werden in das Hohlraumsystem (Endplasmatisches Retikulum (ER) und
Golgi-Apparat) der Zelle hinein synthetisiert und dort gefaltet. Aus dem
Hohlraumsystem schnüren sich danach kleine Bläschen (Vesikel) ab, wandern zur
Zellmembran und verschmelzen mit ihr.
Der Reifeprozess der MHC I-Moleküle wird sehr streng
kontrolliert: Im ER unterstützen Chaperone – als „Anstandsdamen“ bezeichnete
Eiweiße – ihre Faltung. Das Chaperon Tapasin ist dabei entscheidend für die
Beladung mit Peptiden. „Wenn ein MHC I-Molekül ein Peptid gebunden hat,
prüft Tapasin, wie fest die Bindung ist“, erklärt Trowitzsch die Aufgabe des
Chaperons. „Ist die Bindung instabil, wird das Peptid entfernt und durch ein
fest bindendes ausgetauscht.“ Wie genau Tapasin diese Aufgabe ausführt, konnte
jedoch bisher nicht geklärt werden – vor allem, weil der Beladevorgang extrem
schnell abläuft.
Dem Team um Trowitzsch und Tampé ist es nun erstmals gelungen, die
kurzlebige Interaktion zwischen Chaperon und MHC I-Molekül durch eine
Röntgenstrukturanalyse sichtbar zu machen. Dafür produzierten sie Varianten der
beiden Interaktionspartner, die nicht mehr in der Membran steckten, reinigten
diese und brachten sie zusammen. Ein Trick half, den Beladekomplex in Aktion
für die Kristallisation einzufangen: Zuerst belud das Forschungsteam das
MHC I-Molekül mit einem hochaffinen Peptid, so dass eine stabile Bindung
zustande kam. Durch ein Lichtsignal konnte eine Spaltung des Peptids ausgelöst
werden, die die Fähigkeit, das MHC I-Molekül zu binden, stark herabsetzte.
Sofort trat Tapasin auf den Plan und ging mit dem Peptid-freien
MHC I-Molekül einen Verbund ein. „Die lichtinduzierte Spaltung des Peptids
war für den Erfolg unseres Experiments entscheidend“, so Tampé. „Mit Hilfe
dieser neuartigen Optochemischen Biologie können wir nun gezielt komplexe
zellbiologische Prozesse einzeln nachbilden.“
Anhand der Röntgenstrukturanalyse der Kristalle ließ sich
erkennen, wie Tapasin die Peptidbindetasche des MHC I-Moleküls weitet und
dadurch die Festigkeit der Peptidbindung prüft. Dazu bilden die
Interaktionspartner eine große Kontaktfläche aus; eine Schleife des Tapasins
ragt zur Stabilisierung in die geweitete Bindetasche. „Damit zeigen wir
erstmals einen wichtigen Vorgang innerhalb des Antigen-Beladens in hoher
Auflösung“, freut sich Tampé. Aus den Aufnahmen lasse sich auch ableiten, wie
ein einzelnes Chaperon mit der enormen Vielfalt an MHC I-Molekülen
interagieren kann, so der Biochemiker: „Tapasin bindet genau die
nicht-variablen Bereiche der MHC I-Moleküle.“ Die neue Struktur verbessert
aber nicht nur das Verständnis der komplexen Vorgänge bei der Beladung der
MHC I-Moleküle. Sie soll auch dabei helfen, geeignete Kandidaten für die
Impfstoffentwicklung auszuwählen.
Publikation: Ines
Katharina Müller, Christian Winter, Christoph Thomas, Robbert M. Spaapen, Simon
Trowitzsch, Robert Tampé. Structure of an MHC I–tapasin–ERp57 editing complex
defines chaperone promiscuity. Nature Communications (2022) https://www.nature.com/articles/s41467-022-32841-9
Weitere
Informationen
Prof. Dr. Robert Tampé / Dr. Simon
Trowitzsch
SFB 1507 – Protein
Assemblies and Machineries in Cell Membranes
Institute of Biochemistry, Biocenter
Goethe-Universität Frankfurt
tampe@em.uni-frankfurt.de
trowitzsch@biochem.uni-frankfurt.de
Tel: +49 69 798-29475
Homepage: https://www.biochem.uni-frankfurt.de/index.php?id=10