Frankfurter Forscher:innen widerlegen Hypothesen zur Evolution von Giftgenen und zeigen, dass diese vor dem Stachel entstanden sind
Bienen, Wespen und Ameisen gehören zur Gruppe der Hautflügler und injizieren bei einem Stich einen ganzen Cocktail an Giftkomponenten. Trotz ihrer immensen ökologischen und ökonomischen Bedeutung war bislang wenig über die Herkunft ihres Gifts bekannt. Ein Wissenschaftsteam um Dr. Björn von Reumont von der Goethe-Universität Frankfurt hat jetzt mittels umfangreicher Gen-Analysen herausgefunden, dass typische Gift-Bestandteile bereits bei den frühesten Vorfahren der Hautflügler vorhanden waren und sich somit vor der Entstehung des Stachels von Biene & Co. entwickelt haben müssen. Anders als bisher vermutet findet sich zudem das Gen für den Giftstoff Melittin ausschließlich bei Bienen.
FRANKFURT. Gifte haben sich in vielen Tiergruppen
unabhängig voneinander entwickelt. Eine Tiergruppe, in der viele Gift
produzierende Tiere vorkommen, sind die Hautflügler. Dabei handelt es sich um eine
Gruppe von Insekten, zu denen auch die Stechimmen – also Bienen, Wespen und
Ameisen – gehören. Die Hautflügler sind sehr artenreich; alleine die Bienen
zählen mehr als 6000 Arten. Trotz der großen
ökologischen und ökonomischen Bedeutung der Hautflügler ist über die evolutive
Entstehung ihrer Gifte aber noch sehr wenig bekannt.
Forscher:innen um Dr. Björn von Reumont, der als Gastwissenschaftler
im Arbeitskreis für Bioinformatik am Institut für Zellbiologie und
Neurowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt arbeitet, haben nun
erstmals anhand von systematischen Erbgutvergleichen untersucht, wie sich die wichtigsten
Bestandteile des Gifts der Bienen und anderer Hautflügler in der Evolution
entwickelt haben. Die Gifte sind komplexe Gemische, die sich aus kleinen Eiweißen
(Peptiden) und wenigen großen Proteinen und Enzymen zusammensetzen. Stechimmen
injizieren diesen Giftcocktail mit Hilfe eines spezialisierten Stechapparats
aktiv in die Beute oder den Angreifer.
Im ersten Schritt bestimmten die Forscher:innen, welche der Peptide
und Proteine im Gift unter den Hautflüglern am weitesten verbreitet waren.
Dafür griffen sie auf die – allerdings bislang spärlich vorhandenen –
Informationen aus Proteindatenbanken zurück. Zusätzlich analysierten sie selbst
die Proteine in den Giften zweier Wildbienenarten – der Violetten Holzbiene (Xylocopa violacea) und der Gelbbändigen
Furchenbiene (Halictus scabiosae) –
sowie der Honigbiene (Apis mellifera).
In allen untersuchten Hautflügler-Giften fanden sie die gleichen 12 „Familien“
von Peptiden und Proteinen. Diese stellen also eine „gemeinsame Zutat“ dieser
Giftcocktails dar.
Anschließend fahndete das Wissenschaftsteam in Kooperation mit
Kolleg:innen vom Leibniz Institut für Biodiversitätswandel (LIB), der
Technischen Universität München (TUM) und dem Zentrum für Translationale
Biodiversitätsgenomik (LOEWE TBG) im Erbgut von insgesamt 32 Hautflügler-Arten
– darunter Schweißbienen, stachellose Bienen, aber auch Wespen und Ameisen wie
die berüchtigte Rote Feuerameise (Solenopsis invicta) – nach den Genen
für diese 12 Peptid- und Proteinfamilien. Die Unterschiede in diesen Genen,
teilweise nur der Austausch einzelner Buchstaben des genetischen Codes, halfen
den Wissenschaftler:innen dabei, den Verwandtschaftsgrad zwischen den Genen
verschiedener Arten zu bestimmen und letztlich einen Stammbaum der Giftgene zu erstellen.
Dazu griffen sie auch auf künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen
zurück.
Das überraschende Ergebnis: Viele der untersuchten Giftgene sind
in allen Hautflüglern vorhanden, sodass offenbar bereits der gemeinsame Vorfahr
aller Hautflügler diese Gene besessen hat. „Das bedeutet, dass die Hautflügler mit
großer Wahrscheinlich als gesamte Gruppe giftig sind“, schlussfolgert von
Reumont. „Für andere Gruppen wie die Toxicofera, zu denen Schlangen, Schleichen
und Leguanartige gehören, wird bislang noch diskutiert, ob die Gifte auf einen
gemeinsamen Vorfahren zurückgehen oder mehrfach entstanden sind.“
Zwar besitzen innerhalb der Hautflügler nur die Stechimmen – also
die Bienen, Wespen und Ameisen – einen echten Stachel zur Applikation des Gifts.
Doch auch die entwicklungsgeschichtlich alten parasitären Pflanzenwespen injizieren
mit ihrem Eiablageapparat neben den Eiern Substanzen, mit denen sie die
Physiologie der Wirtspflanzen verändern: Die Blaue Fichtenholzwespe (Sirex
noctilio) zum Beispiel bringt nicht nur einen Pilz mit in die Pflanze ein,
der die Besiedelung des Holzes durch die Larve erleichtert, sondern auch einen
Giftcocktail mit den in der Studie untersuchten Giftproteinen. Diese sollen in
der Pflanze geeignete Rahmenbedingungen für die Larve schaffen. „Damit kann man
auch die Blaue Fichtenholzwespe als giftig einstufen“, so von Reumont.
Als Giftkomponente neu bei den Bienen sind das Gen für das Peptid
Melittin sowie Gene für Vertreter der neu beschriebenen Proteinfamilie
Anthophilin-1. Dass Melittin nur von einem einzigen Gen kodiert wird, war
überraschend für die Giftforscher:innen, wie von Reumont erklärt: „Von Melittin
gibt es nicht nur viele verschiedene Varianten, das Peptid macht im Bienengift
auch bis zu 60 Prozent des Trockengewichts aus. Deshalb war man davon ausgegangen,
dass viele Genkopien vorliegen müssen. Das konnten wir klar widerlegen.“ Da sie
das Melittin-Gen nur bei Bienen fanden, entkräfteten die Forscher auch die
Hypothese, dass es zu einer für die Stechimmen postulierten Gruppe von
Giftgenen gehört, den Aculeatoxinen. „Das zeigt uns einmal mehr, dass man nur
mit Genomdaten aussagekräftige Schlüsse über die Evolution von Giftgenen ziehen
kann“, ist der Forscher überzeugt.
Die Frankfurter Studie zeigt zum ersten Mal für eine ganze Insekten-Gruppe
mit rund einer Million Arten, wo Giftgene herkommen und wie sie sich entwickelt
haben. Sie bietet nun einen Ausgangspunkt, um die Entstehung der Giftgene bei
den Vorfahren der Hautflügler sowie Spezialisierungen innerhalb der Gruppe zu
verfolgen. Um groß angelegte Genomvergleiche durchführen zu können, müssen nun
allerdings zuerst Analysemethoden für die zum Teil sehr großen Proteinfamilien automatisiert
werden.
Publikation: Ivan Koludarov, Mariana
Velasque, Tobias Senoner, Thomas Timm, Carola Greve, Alexander Ben Hamadou,
Deepak Kumar Gupta, Günter Lochnit, Michael Heinzinger, Andreas Vilcinskas,
Rosalyn Gloag, Brock A. Harpur, Lars Podsiadlowski, Burkhard Rost, Timothy N.
W. Jackson, Sebastien Dutertre, Eckart Stolle, Björn M. von Reumont: Prevalent bee venom genes evolved before
the aculeate stinger and eusociality. BMC Biology, (2023) https://doi.org/10.1186/s12915-023-01656-5
Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/146271865
Bildtext: Komponenten des
Giftcocktails von Wildbienen wie der Platterbsen-Mörtelbiene (Megachile
ericetorum) sind entwicklungsgeschichtlich älter als ihr Stachel. Foto: Björn
von Reumont
Weitere Informationen
Dr. rer
nat. habil. Björn M. von Reumont
Gastwissenschaftler
im Arbeitskreis für Angewandte Bioinformatik/Prof. Ingo Ebersberger
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49(0)151-61997924
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