Kooperation von Goethe-Universität mit University of Oklahoma
Ein internationales Wissenschaftsteam der Goethe-Universität Frankfurt und der University of Oklahoma hat erstmals Effekte der Quantenphysik an einem auseinanderbrechenden Heliumdimer gefilmt. Der Film zeigt die Überlagerung von Wellen zweier Ereignisse, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit gleichzeitig auftreten: Der Fortbestand und das Auseinanderbrechen des Heliumdimers. Die Methode könnte künftig erlauben, das Entstehen und den Zerfall quantenphysikalischer Efimov-Systeme experimentell zu verfolgen. (Nature Physics, DOI 10.1038/s41567-020-01081-3)
FRANKFURT. Wer sich in die Welt der Quantenphysik begibt, muss sich
auf Einiges gefasst machen, was in der Alltagswelt unbekannt ist: Edelgase
gehen Bindungen ein, Atome verhalten sich gleichzeitig wie Teilchen und wie
Wellen, und Ereignisse, die eigentlich einander ausschließen, lassen sich
gleichzeitig beobachten.
Reinhard Dörner und sein Team beschäftigen sich in der
Quantenwelt mit Molekülen, die es klassischerweise gar nicht geben dürfte:
Zweierverbindungen von Helium, sogenannte Heliumdimere. Denn Helium wird ja
gerade deshalb zu den Edelgasen gezählt, weil es eigentlich keine Verbindungen
eingeht. Wenn man das Gas jedoch auf nur 10 Grad über dem absoluten Nullpunkt
von minus 273 Grad Celsius abkühlt und dann durch eine kleine Düse in eine
Vakuumkammer strömen lässt, wodurch es noch kälter wird, dann bilden sich –
ganz selten – solche Heliumdimere. Es sind sicher die am schwächsten gebundenen
Moleküle im Universum, und entsprechend weit sind die beiden Atome im Molekül
voneinander entfernt. Während eine chemische Bindung gewöhnlicherweise rund 1 Ångström misst (0,1 Nanometer), sind es beim Heliumdimer im
Mittel mehr als 50 Mal so viel, 52 Ångström.
Solche Heliumdimere haben die Frankfurter Wissenschaftler
mit einem extrem starken Laserblitz bestrahlt und dadurch die Bindung zwischen
den beiden Heliumatomen minimal verdreht – was ausreichte, um die beiden Atome
auseinanderfliegen zu lassen. Daraufhin konnten die Wissenschaftler das
wegfliegende Heliumatom erstmals als Welle sehen und in einem Film aufzeichnen.
Der Quantenphysik zufolge verhalten sich Objekte
gleichzeitig wie ein Teilchen und eine Welle, was der Laie vielleicht von den
Lichtteilchen (Photonen) her kennt, die sich einerseits wie Wellen überlagen
und damit verstärken oder auslöschen können (Interferenz), andererseits aber
als „Sonnenwind“ zum Beispiel Raumsonden über deren Sonnensegel antreiben
können.
Dass die Forscher das wegfliegende Heliumatom im
Frankfurter Laser-Experiment als eine Welle überhaupt beobachten und filmen
konnten, lag daran, dass das Heliumatom nur mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit wegflog: Mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit war es noch
an seinen zweiten Heliumpartner gebunden, mit 2-prozentiger Wahrscheinlichkeit
flog es weg. Diese beiden Heliumatom-Wellen – Vorsicht: Quantenphysik! –
überlagerten sich, ihre Interferenz ließ sich messen.
Vorstellen kann man sich das nicht, aber die Vermessung
solcher „Quantenwellen“ lässt sich ausdehnen auf Quantensysteme mit mehreren
Partnern wie das Heliumtrimer aus drei Helium-Atomen. Das Heliumtrimer ist
interessant, da es einen exotischen sogenannten Efimovzustand bilden kann, sagt
Maksim Kunitski, Erstautor der Studie: „Solche Drei-Teilchen-Systeme wurden
1970 durch den russischen Theoretiker Vitaly Efimov vorhergesagt und zunächst
an Cäsiumatomen nachgewiesen. Vor fünf Jahren haben wir erstmals den
Efimovzustand im Heliumtrimer entdeckt. Unsere jetzt entwickelte Methode der
Laserpuls-Bestrahlung könnte es uns in Zukunft erlauben, die Entstehung und den
Zerfall von Efimov-Systemen zu beobachten und so quantenphysikalische Systeme
besser verstehen zu können, die experimentell nur schwer zugänglich sind.“
Publikation: Maksim
Kunitski, Qingze Guan, Holger Maschkiwitz, Jörg Hahnenbruch, Sebastian Eckart,
Stefan Zeller, Anton Kalinin, Markus Schöffler, Lothar Ph. H. Schmidt, Till
Jahnke, Dörte Blume, Reinhard Dörner: Ultrafast manipulation of the weakly
bound helium dimer. In: Nature Physics, https://doi.org/10.1038/s41567-020-01081-3
Bilder zum Download:
http://www.uni-frankfurt.de/95834340
Bildtext: Dr. Maksim
Kunitski am COLTRIMS-Reaktionsmikroskop an der Goethe-Universität Frankfurt,
mit dessen Hilfe die "Quantenwelle" beobachtet werden konnte. (Foto:
Uwe Dettmar für Goethe-Universität)
http://www.uni-frankfurt.de/95834284
Bildtext: Prof.
Reinhard Dörner (links) und Dr. Maksim Kunitzki vor dem
COLTRIMS-Reaktionsmikroskop an der Goethe-Universität Frankfurt, mit dessen
Hilfe die "Quantenwelle" beobachtet werden konnte. (Foto:
Goethe-Universität Frankfurt)