Screening multipler Gen-Veränderungen auch für komplexe Nerven- und Immunerkrankungen anwendbar
Eine erweiterte Anwendung der
CRISPR-Cas-Technologie ermöglicht das Team um den Biochemiker Dr. Manuel
Kaulich von der Goethe-Universität Frankfurt: Die neue
3Cs-Multiplex-Technik erlaubt es, in der Zellkultur die Wirkung genetischer
Veränderungen in zwei beliebigen Genen gleichzeitig zu untersuchen. Dies kann
wichtige Hinweise für die Entwicklung von Therapien gegen Krebs oder
Erkrankungen des Nerven- und Immunsystems liefern.
FRANKFURT. Krebs
und viele andere Erkrankungen beruhen auf Gendefekten. Häufig kann der Körper
den Ausfall eines Gens kompensieren; erst die Kombination mehrerer genetischer
Fehler führt zum Krankheitsbild. Eine Möglichkeit, Millionen solcher
Kombinationen von Gendefekten zu simulieren und ihre Auswirkungen in der
Zellkultur zu untersuchen, bietet jetzt die an der Goethe-Universität Frankfurt
entwickelte 3Cs-Multiplex-Technik auf Basis der CRISPR-Cas-Technologie.
CRISPR-Cas ist eine „Genschere“, die es erlaubt, gezielt Gene einzuschleusen,
zu entfernen und auszuschalten. Dazu werden kleine Erbgut-Schnipsel („single
guide RNA“) als „Adresse“ genutzt, die die Genschere zu bestimmten Abschnitten
der DNA leiten, wo die Genschere dann aktiv wird.
Zur Entwicklung der 3Cs-Multiplex-Technik erweiterten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für Biochemie II der
Goethe-Universität ihre vor drei Jahren entwickelte und patentierte
3Cs-Technik. 3Cs steht für covalently-closed circular-synthesized, weil
die für CRISPR-Cas eingesetzten RNA-Elemente dabei mit Hilfe einer
kreisförmigen Synthese generiert somit einheitlicher verteilt sind. Mit einer
ganzen Bibliothek solcher RNA-Ringe lässt sich jedes beliebige Gen in einer
Zelle gezielt adressieren, um es zu verändern oder auszuschalten.
Die neue 3Cs-Multiplex-Technik erlaubt nun sogar die gleichzeitige
Manipulation zweier Gene in einer Zelle. Dr. Manuel Kaulich erläutert: „Wir
können ‚Adress'-RNA-Bibliotheken für alle denkbaren Zweier-Kombinationen von
Genen herstellen. Damit lassen sich bis zu mehreren Millionen Kombinationen
gleichzeitig in einem Experiment testen.“
Bislang war der Aufwand für solche Experimente sehr hoch; die neue
Technik der Arbeitsgruppe reduziert ihn einschließlich Kosten um den Faktor
Zehn. Denn das Team kann die Adress-Bibliotheken dank der neuen 3Cs-Multiplex-Technik
sehr einheitlich und qualitativ hochwertig herstellen. „Durch die mäßige
Qualität der bislang verfügbaren CRISPR-Cas-Bibliotheken mussten immer sehr
große Experimente durchgeführt werden, um entstehende Fehler statistisch
auszugleichen“, so Kaulich.
Am Beispiel von verschiedenen an Abbauprozessen beteiligten Genen
zeigte die Arbeitsgruppe das Potenzial der neuen 3Cs-Multiplex-Technik: Sie
untersuchte knapp 13.000 Zweierkombinationen von Genen, die für
Recyclingprozesse (Autophagie) in der Zelle verantwortlich sind. Mit deren
Hilfe baut die Zelle „ausgediente“ Zellbestandteile ab und verwertet sie.
Störungen der Autophagie können Zellwucherungen auslösen.
„Mit der 3Cs-Multiplex-Technik konnten wir zum Beispiel zwei an
der Autophagie beteiligte Gene identifizieren, deren Ausschalten zu einem
unkontrollierten Wachstum von Zellen führt“, erklärt Kaulich. „Genau diese
Autophagie-Mutationen kommen bei jedem fünften Patienten mit einem
Plattenephithelkarzinom der Lunge vor. Auf diese Weise können wir in
Zellkulturexperimenten sehr effizient nach Genen suchen, die bei Krebs oder
auch Krankheiten des Nerven- und Immunsystems eine wichtige Rolle spielen und
die sich als mögliche Ziele für Therapien eignen.“
Die Arbeitsgruppe der Goethe-Universität hat ihre Entwicklungen
über die universitäre Technologietransfer-Tochter Innovectis zum Patent
angemeldet. Das aus dem Institut für Biochemie II unter Beteiligung von Manuel
Kaulich ausgegründete Start-up-Unternehmen Vivlion GmbH bietet die Nutzung der
Technologie bereits auf dem Markt an.
Publikation: Valentina Diehl, Martin Wegner, Paolo Grumati, Koraljka Husnjak,
Simone Schaubeck, Andrea Gubas, Varun Jayeshkumar Shah, Ibrahim H Polat, Felix
Langschied, Cristian Prieto-Garcia, Konstantin Müller, Alkmini Kalousi, Ingo
Ebersberger, Christian H Brandts, Ivan Dikic, Manuel Kaulich, Minimized
combinatorial CRISPR screens identify genetic interactions in autophagy. Nucleic Acids Research, gkab309, https://doi.org/10.1093/nar/gkab309
Weitere Informationen:
Dr.
Manuel Kaulich
Institut
für Biochemie II
Goethe-Universität
Frankfurt
Tel:
+49 69 6301-6295
kaulich@em.uni-frankfurt.de
Dr.
Kerstin Koch
Institut
für Biochemie II
Goethe-Universität
Frankfurt
Tel.:
+49 696301-84250
k.koch@em.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12498, bernards@em.uni-frankfurt.de