Lehrgrabung der Provinzialrömischen Archäologie der Goethe-Universität in Bad Ems widerlegt bisherige Vermutungen
Auf der Suche nach Silbererz haben die Römer im 1. Jahrhundert nach Christus in der Gegend von Bad Ems zwei Militärlager errichtet. Das ergaben Forschungen im Rahmen einer mehrjährigen Lehrgrabung der Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen der Goethe-Universität in Kooperation mit dem Land Rheinland-Pfalz. Dabei kam durchaus Überraschendes zutage. Die spannende Forschungsgeschichte brachte dem jungen Archäologen Frederic Auth den 1. Platz beim Wiesbadener Science Slam ein.
FRANKFURT. Als
Prof. Markus Scholz, der an der Goethe-Universität das Fach Archäologie und
Geschichte der römischen Provinzen lehrt, gegen Ende der Grabungsarbeiten mal
wieder nach Bad Ems reiste, staunte er nicht schlecht: Sein Mitarbeiter
Frederic Auth hatte ihm lediglich Bilder von ein paar Holzstückchen gemailt.
Was er nun zu Gesicht bekam, darauf war er nicht vorbereitet: Es handelte sich
um eine hölzerne Abwehrkonstruktion, ein „Annäherungshindernis“, bestehend aus
zugespitzten Holzpfählen. Das martialisch wirkende Konstrukt sollte etwaige
Feinde von einem Angriff auf das Lager abschrecken. Von solchen Anlagen, die
sich in ihrer Wirkung vielleicht mit einem Stacheldraht vergleichen lassen,
wusste man aus der Literatur – Caesar hatte sie erwähnt –, gefunden hatte man
sie bislang nicht. Im feuchten Boden des Blöskopfes herrschten offenbar ideale
Bedingungen, so blieben die hölzernen Spieße, die wahrscheinlich den gesamten,
nach unten spitz zulaufenden Graben um das Lager spickten, gut erhalten.
Zwei Militärlager hat es in der Umgebung von Bad Ems dies- und
jenseits des Emsbachtals gegeben, beide waren bis vor kurzem unbekannt – bis
das Areal in den Blick der Frankfurter Archäologen und von Dr. Peter Henrich
von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz rückte. Auslöser für
diese Grabungen waren die Beobachtungen eines Jägers, der im Jahr 2016 von seinem
Hochsitz aus Farbunterschiede im Getreidefeld entdeckte, die auf Strukturen
unter der Oberfläche hindeuteten. Ein Drohnenfoto von der Erhebung, die den
schönen Namen „Ehrlich“ trägt, bestätigte: Den Acker durchzog eine Spur, die
von einem riesigen Traktor hätte stammen können. In Wirklichkeit handelte es
sich jedoch um einen doppelten Graben, der ein römisches Lager umrahmte. Die
geomagnetische Prospektion schließlich zeigte ein acht Hektar großes
Militärlager mit rund 40 Türmen aus Holz. Die archäologischen Grabungen, die in
zwei Kampagnen unter der örtlichen Leitung von Dr. Daniel Burger-Völlmecke
durchgeführt wurden, brachten weitere Details hervor: Das Lager, das offenbar
solide gebaut werden sollte, wurde nie fertiggestellt. Nur ein festes Gebäude, ein
Speicher und Magazinbau, befand sind dort. Die wahrscheinlich um 3000 Soldaten
mussten wohl in Zelten schlafen. Brandspuren zeigen, dass das Lager nach
wenigen Jahren niedergebrannt worden war. Aber warum?
Das zweite, deutlich kleinere Lager identifizierte das
studentische Team, das von Frederic Auth angeleitet wurde, in zwei Kilometern
Luftlinie auf der anderen Seite des Emsbachtals. Der „Blöskopf“ war
archäologisch kein unbeschriebenes Blatt: Seit Sondierungsgrabungen im Jahr
1897 wähnte man dort ein römisches Hüttenwerk, wo vor Ort gefundenes Silbererz
weiterverarbeitet worden war. Der Fund von Mauerfundamenten, Brandresten und
Metallschlacken legte diese Vermutung nahe. Darüber hinaus nahm man lange Zeit an,
dass das Hüttenwerk in Verbindung zum Limes stand, der um 110 nach Christus 800
Meter weiter östlich errichtet worden war. Diese Jahrzehnte lang gültigen
Annahmen sind nun widerlegt: Bei dem vermeintlichen Ofen handelt es sich in
Wirklichkeit um einen Wachturm eines kleinen, ca. 40 Mann fassenden
Militärlagers. Und er wurde wohl bewusst in Brand gesetzt, bevor die Garnison
das Lager verließ. Buchstäblich am vorletzten Tag der Grabung dann der
spektakuläre Fund der hölzernen Abwehrkonstruktion – und der einer im Jahr 43
nach Christus geprägten Münze, die bezeugte, dass das Bauwerk nicht in
Zusammenhang mit dem Limes entstanden sein kann.
Doch warum haben die Römer das große Lager nicht fertiggestellt und
beide Areale nach wenigen Jahren aufgegeben? Wozu haben die Anlagen gedient?
Einen möglichen Hinweis haben die Archäologen bei dem Geschichtsschreiber
Tacitus gefunden: Er beschreibt, wie unter dem römischen Statthalter Curtius
Rufus 47 nach Christus der Versuch gescheitert sei, in der Gegend Silbererz
abzubauen. Die Ausbeute sei zu gering gewesen. Und tatsächlich konnte das Team
der Frankfurter Archäologie ein Schacht-Stollen-System identifizieren, das auf
römische Herkunft schließen ließ. Der Stollen liegt wenige Meter über dem Bad
Emser Gangzug, der den Römern 200 Jahre Silberabbau gewährt hätte – hätten sie
nur davon gewusst. Ausgebeutet wurde das Silber erst in späteren Jahrhunderten.
Die Hoffnung der Römer auf einen lukrativen Edelmetallabbau würde auch die
Anwesenheit des Militärlagers erklären: Man wollte sich gegen schlagartige
Überfälle zur Wehr setzen können, die angesichts des wertvollen Rohstoffes
nicht unwahrscheinlich waren. „Um all dies zu verifizieren, sind allerdings
weitere Studien notwendig“, sagt Prof. Scholz. Interessant wäre etwa, ob auch
das große Lager von „Annäherungshindernissen“ umgeben war. Holzspieße fand man
dort bislang nicht, aber vielleicht lassen sich Spuren davon in dem wesentlich
trockeneren Boden entdecken.
Dass die Römer ein umfangreiches Unterfangen jäh abbrachen, ist
nicht ohne Beispiel. Hätten sie gewusst, dass Jahrhunderte später in der
Neuzeit 200 Tonnen Silber aus dem Boden bei Bad Ems geholt werden würden, hätten
sie vielleicht nicht so schnell aufgegeben. Die Soldaten, die man in diesem
Fall zum Stollengraben verdonnert hatte, waren von der schweren Arbeit offenbar
nicht begeistert: Tacitus berichtet, sie hätten an Kaiser Claudius in Rom
geschrieben, er möge den Befehlshabern vorab die Triumphalinsignien verleihen,
dann müssten sie ihre Soldaten nicht sinnlos schuften lassen.
Alles in allem eine spannende Forschungsgeschichte, die Frederic
Auth, der seit 2019 die Grabungen in Bad Ems leitete, auch spannend zu erzählen
weiß. Kein Wunder, dass er beim 21. Wiesbadener Science Slam im ausverkauften
Schlachthof Anfang Februar in einem interdisziplinären Bewerberfeld den ersten
Preis davontrug. Der junge Archäologe ist bereits für weitere Auftritte
gebucht: Frederic Auth tritt am 2. März in Heidelberg an, am 7. März in Bonn,
am 19. März in Mannheim. Nähere Informationen zu diesen Veranstaltungen finden
Sie unter: https://www.science-slam.com/
Die Forschungen in Bad Ems wurden gemeinsam mit der Direktion
Landesarchäologie in der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, dem
Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Erlangen-Nürnberg und der
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin durchgeführt. Auch der Jäger und
ehrenamtliche Denkmalpfleger Jürgen Eigenbrod und sein Kollege Hans-Joachim du
Roi sowie mehrere Sondengänger mit den erforderlichen Genehmigungen der
Denkmalbehörden waren beteiligt. Finanziert wurde das Projekt unter Förderung
der Gerhard-Jacobi-Stiftung, der Gesellschaft für Archäologie an Mittelrhein
und Mosel und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die
Holzspieße wurden inzwischen am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz
konserviert.
Publikation: Eine Monographie zu den archäologischen Grabungen in Bad Ems wird
derzeit erstellt.
Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/132551146
Bildtexte:
Bild 1: „Traktorspuren“: Angestoßen wurden die Forschungen in Bad Ems
durch J. Eigenbrod, der von einem Hochsitz aus verdächtige Spuren im Feld
ausmachte. Bei den Spuren handelt es sich um Veränderungen im Bewuchs, die
Bodeneingriffe anzeigen, in diesem Fall die Gräben des römischen Lagers auf dem
„Ehrlich“ (Foto: H.-J. du Roi)
Bild 2: Die geomagnetische Prospektion bestätigt die Vermutung, dass
unter den Feldern im Boden Spuren früherer Nutzung des Hügels „Ehrlich“ zu
finden sein würden. (Aufnahme: C. Mischka, FAU Erlangen-Nürnberg).
Bild 3: Eine große Überraschung erlebten die Archäologen in den letzten
Tagen der Grabungskampagne: Im feuchten Boden des Berges „Blöskopf“ hatte sich
eine Konstruktion aus hölzernen Spießen erhalten, die potenzielle Angreifer
abschrecken sollte. (Foto: Auth)
Bild 4: Caesar hatte von vergleichbaren Annäherungshindernissen
berichtet, doch bislang hatte man keine physischen Belege dafür gefunden, dass
es sie wirklich gab. Die hölzernen Abwehrkonstruktionen haben die Jahrhunderte
meist nicht überdauert. (Foto: Auth)
Bild 5: Konnte sich im interdisziplinären Bewerberfeld beim 21.
Wiesbadener Science Slam durchsetzen: Archäologe Frederic Auth (3. von links)
von der Goethe-Universität mit Moderator Rainer Holl (von links) und den
Science Slammern Maria Bruhnke, Christopher Synatschke, Nina Lanzer und Uwe
Gaitzsch. (Foto: science-slam.com)
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Markus Scholz
Archäologie
und Geschichte der römischen Provinzen
Institut
für Archäologische Wissenschaften, Abt. II
Goethe-Universität
Telefon
+49 (0)69 798 32265
Fax
+49 (0)69 798 32268
E-Mail m.scholz@em.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation,
Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de