Bei Wiederkäuern reagiert ein Bakterium mit zwei unterschiedlichen Atmungsketten auf schwankenden Salzgehalt
FRANKFURT. Kühe können sich an Nahrung mit unterschiedlichem Kochsalzgehalt anpassen. Wie sie das machen, war bislang ein Geheimnis. Jetzt haben Forscher der Goethe-Universität im Mikrobiom des Pansens ein Bakterium entdeckt, das einen neuen Typ von Zellatmung hat.
Die Kuh kann Gras nur mithilfe von Milliarden Mikroorganismen in
ihrem Pansen verwerten. Ein ganzer Zoo von Bakterien, Archaeen und Protozoen
arbeitet dort wie am Fließband: Zuerst spalten diese Einzeller die Cellulose,
einen Vielfachzucker, auf. Andere Bakterien
vergären die freigesetzten Zucker zu Fettsäuren, Alkoholen und Gasen wie
Wasserstoff und Kohlendioxid. Schließlich verwandeln methanogene Archaeen diese
beiden Gase zu Methan.
Eine durchschnittliche Kuh produziert etwa 110 Liter Methan pro
Tag. Durch das Wiederkäuen entweicht es aus dem Maul, wird aber auch wieder mit
Nahrungsbrei und vermischt. Dadurch kann der Kochsalzgehalt des Grasbreis stark
schwanken (zwischen 60 – 800 milli-Mol Natriumchlorid (NaCl) pro Liter).
Wie sich die Bakterien des Pansens an diese stark schwankenden
Kochsalzkonzentrationen anpassen, hat eine deutsch-amerikanische Forschergruppe
jetzt herausgefunden:„Bioinformatische Analysen der Genome von Pansenbakterien
führten unseren amerikanischen Kollegen Tim Hackmann zu der Vermutung, dass
einige Pansenbakterien zwei unterschiedliche Atmungsketten haben. Eine davon
funktioniert mit Natriumionen, die andere ohne“, erklärt Prof. Volker Müller
von der Abteilung Molekulare Mikrobiologie und Bioenergetik an der
Goethe-Universität. Müller schlug seiner Doktorandin Marie Schölmerich deshalb
vor, einen typischen Vertreter im Mikrobiom von Wiederkäuen zu untersuchen: das
Bakterium Pseudobutyrivibrio ruminis.
Marie Schölmerich hat zusammen mit der Bachelorstudentin Judith
Dönig und dem Masterstudenten Alexander Katsyv das Bakterium kultiviert.
Tatsächlich konnten sie beide Atmungsketten nachweisen. Wie die Forscher in der
aktuellen Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)
berichten, wird während der Zuckeroxidation der Elektronenüberträger Ferredoxin
(Fd) reduziert. Reduziertes Ferredoxin treibt beide Atmungsketten an.
Die eine Atmungskette besteht aus dem Enzymkomplex
Fd:NAD-Oxidoreduktase (Rnf- Komplex). Er transportiert Natriumionen unter
Aufwendung von Energie aus der Zelle. Bei ihrem Wiedereintritt treiben die
Natriumionen eine ATP-Synthase an, so dass ATP entsteht. Diese Atmungskette
arbeitet nur in Gegenwart von Natrium-Ionen.
Fehlen Natrium-Ionen, bildet das Bakterium eine alternative Atmungskette mit einem anderen Enzymkomplex: Die Ech-Hydrogenase oder synonym Fd:H+-Oxidoreduktase produziert Wasserstoff und pumpt Protonen aus der Zelle. Treten diese über eine zweite ATP-Synthase, die Protonen, aber keine Natriumionen akzeptiert, wieder in die Zelle ein, entsteht ebenfalls ATP.
„Bis
heute ist dies das erste Bakterium, bei dem diese beiden einfachen, komplett
unterschiedlichen Atmungsketten nachgewiesen wurden. Unsere bioinformatischen
Analysen legen aber nahe, dass sie auch bei anderen Bakterien zu finden sind“,
erklärt Marie Schölmerich. „Diese
Anpassungsstrategie scheint also weiter verbreitet zu sein“, lautet ihre
Vermutung.
Interessanterweise wurden die beiden Enzymkomplexe (Rnf-und
Ech-Komplex) auch in evolutionsbiologisch alten Bakterien gefunden. Die
Arbeitsgruppe von Prof. Müller hat sie eingehend untersucht, aber immer nur
einen der beiden Enzymkomplexe gefunden, nie beide zusammen. „Jetzt
werden wir mit Methoden der synthetischen Mikrobiologie Hybride von Bakterien
herstellen, die beide Komplexe enthalten, um diese für biotechnologische
Prozesse zu optimieren. Dadurch kann man den zellulären ATP-Gehalt erhöhen.
Dann lassen sich wertvollere Produkte herstellen“, erklärt Prof. Müller.
Geplant ist, die Atmungsketten einzusetzen, um durch die Fermentation von
Synthesegasen Wertstoffe zu gewinnen. Dies ist Gegenstand der Untersuchungen in
einem BMBF-geförderten Projekt.
Ein Bild zum Download finden Sie unter: http://www.uni-frankfurt.de/84412971
Bildtext: Das Bakterium Pseudobutyrivibrio ruminis (grün), ein
typisches Pansenbakterium, gewinnt Energie über zwei unterschiedliche
Atmungsketten. Die eine benötigt Natriumionen, die andere Wasserstoffionen
(H+). So passt es sich optimal an die schwankende Kochsalzkonzentration der
Nahrung an. Grafik: Goethe-Universität/ Kuh:
Shutterstock
Publikation: Schölmerich, M.C., Katsyv, A.,
Dönig, J., Hackmann, T., Müller,
V. (20XX). Energy conservation involving two respiratory
circuits. Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A., in press.
Informationen: Prof. Volker Müller, Molekulare
Mikrobiologie und Bioenergetik, Campus Riedberg, Tel.: (069) 798-29507; VMueller@bio.uni-frankfurt.de.